Das Phänomen des Nachbildes (Phantoms) wurde seit Langem von Ärzten, Physiologen und Farbtheoretikern erforscht.
Es wurde im Zusammenhang mit den Studien über sukzessive und simultane Kontraste von vielen bekannten Künstlern ausführlich beschrieben.
Doch bis heute hat niemand dieses Phänomen als Hauptmaterial zur Schaffung von Kunstwerken verwendet.
Nachbild und seine WahrnehmungHermann von Helmholtz – deutscher Physiker, Arzt, Physiologe, Psychologe und Akustiker – untersuchte und erklärte den Effekt des
negativen Farb-Nachbildes.
Dieses Phänomen tritt auf, wenn nach längerem Betrachten eines farbigen Objekts und anschließendem Blick auf eine neutrale (weiße) Fläche ein „geisterhaftes“ Bild dieses Objekts erscheint, jedoch in der komplementären Farbe.
Nach rotem Objekt – grünlich-blaues Nachbild; nach blauem – gelbes.
Nachbilder entstehen gewöhnlich in den Pausen zwischen
sakkadischen Augenbewegungen – den natürlichen, schnellen und ständigen Mikrobewegungen der Pupillen beim Betrachten, Lesen, Filmeschauen oder sogar im Schlaf.
Deshalb scheint das Nachbild ständig in Bewegung zu sein.
KomplementaritätEwald Hering, deutscher Physiologe, schlug 1870 die
Gegentheorie des Sehens vor.
Er erklärte, dass das visuelle System Farbe nicht als isolierte Reize verarbeitet, sondern durch das Zusammenspiel gegensätzlicher Farbpaare (Rot–Grün, Blau–Gelb, Weiß–Schwarz).
Diese Paare existieren als „Gegenspieler“ und erzeugen Nachbilder, wenn Netzhautzellen, die durch eine Farbe erregt wurden, anschließend auf die entgegengesetzte reagieren.
VibrationRobert Darwin (1786), der Vater von Charles Darwin, beschrieb dieses Phänomen erstmals ausführlich.
Er unterschied zwei Arten von Nachbildern:
–
Negative – auf dunklem Hintergrund,
–
Positive – auf hellem.
Nachbilder scheinen zu vibrieren, wechseln zwischen hellen und dunklen Phasen, schwächen sich allmählich ab und verschwinden schließlich.
IllusorikJohann Wolfgang von Goethe beschrieb in seiner
Farbenlehre diese visuellen Effekte als
„phantomhafte Spektren“ oder
„illusorische Farbformen“, die nicht außen, sondern innerhalb des menschlichen visuellen Systems entstehen.
Er war überzeugt, dass Farbwahrnehmung nicht die Reflexion des Lichts ist, sondern eine innere Aktivität des Sehens, die eigene visuelle Formen erschafft.
VergänglichkeitDer Moment des hellen Aufleuchtens des Phantoms wird stets von seinem schnellen, rhythmischen Verlöschen und Verschwinden abgelöst.
Auch dies erklärt sich aus der Physiologie des menschlichen Sehapparates.
EnergieKasimir Malewitsch behauptete, dass Farbe, befreit von gegenständlichem Inhalt, eine eigene
Energie besitzt – eine innere Kraft, die unabhängig von der Form ist.
Ein mit Licht und Farbe aufgeladener Phantom trägt daher dieselben Eigenschaften und kann als Material für die Schaffung von Kunstwerken verwendet werden.
DynamikWassily Kandinsky sah in der Farbe Bewegung, Temperatur und Stimmung – ein lebendiges, dynamisches Wesen, das innere Zustände und geistige Spannung übermitteln kann.
Tatsächlich ist das Phantom seiner Natur nach sehr metaphorisch, beweglich und assoziativ-dynamisch.
VeränderlichkeitJosef Albers, Professor am Bauhaus, entwickelte ein einzigartiges Lehrsystem, in dem die Farbtheorie nicht auf strengen wissenschaftlichen Gesetzen, sondern auf persönlicher Wahrnehmung und praktischer Erfahrung basierte.
Er experimentierte mit Formen und Vorbildern und untersuchte, wie das Auge auf Kontrast, Nähe und Wechselwirkung von Farben reagiert.
Sein Buch Interaction of Color ist ein grundlegendes Werk zum Verständnis der Relativität der Farbe – wie die Wahrnehmung von Farbton vom Kontext, Hintergrund, Licht und sogar von der Stimmung des Betrachters abhängt.